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Aus der Praxis

Hitzeschutz im Mercedes-Benz Werk
Gaggenau: Der Mensch im Fokus

Udo Roth ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Mercedes-Benz Werks Gaggenau der Daimler Truck AG und leitet überregional die Kommission „Arbeitssicherheit, Umwelt und Gesundheitsschutz“. Im Interview spricht er über die Auswirkungen von extremer Hitze und langanhaltend hohen Temperaturen auf die Betriebsabläufe und Maßnahmen zum Schutz der Belegschaft.

Wie viele heiße Tage gab es letzten Sommer in Gaggenau? Wie wirkt sich das auf den Betrieb aus?

Letztes Jahr hatten wir, seit Beginn unserer Aufzeichnungen in 2017, einen Spitzenwert an Hitzetagen. Von Anfang Juni bis September waren es insgesamt 34 Tage, an denen es über 30 Grad waren. Die Hitze wirkt sich in unseren verschiedenen Produktionshallen in Gaggenau unterschiedlich aus. Wie heiß es in den Hallen wird, hängt davon ab, was produziert wird und welche Maschinen dort stehen. Auch die Bausubstanz der Halle spielt eine Rolle. Wir haben in Gaggenau ein Werk mit vielen Gebäuden aus unterschiedlichen Baujahren. Das Problem mit der Hitze verschärft sich dann, wenn es mehrere Tage hintereinander heiß ist – und wenn die sogenannten tropischen Nächte dazukommen. Denn die Nächte bieten sich eigentlich zum Entlüften an. Wenn die Nächte auch zu heiß sind und mehrere heiße Tage und Nächte aufeinander folgen, dann ist es in der Halle deutlich wärmer als draußen. Die Maschinen geben ja zusätzlich Hitze ab. Selbst, wenn es draußen mal abkühlt, ist es schwer, die Hitze aus der Halle zu bekommen.

Bei Daimler arbeiten Sie unter anderem im Schichtmodell. Wie sind die Schichten von der Hitze betroffen?

Wir haben viele unterschiedliche Schichtmodelle. Wesentlich sind die Ein-, Zwei- und Drei-Schichten-Modelle. Im Drei-Schichten-Modell arbeitet die zweite Schicht mitten am Tag von 14:00 bis 22:00 Uhr. Sie ist also am stärksten von der Hitze betroffen, weil in der Regel die Außentemperaturen dann am höchsten sind. Die erste Schicht von 06:00 bis 14:00 Uhr ist hingegen halbwegs erträglich. Es kommt aber auch darauf an, ob es tropische Nächte – und damit einen Abkühlungseffekt – gab oder nicht. Die dritte Schicht von 22:00 Uhr bis 06:00 Uhr ist die angenehmste. Wir haben sehr viele Gebäude mit Luken, die man nachts aufmachen kann. Problematisch wird es, wenn es regnet. Dann schließen sich die Luken automatisch und man hat schnell tropische Zustände, da die Luftfeuchtigkeit entsprechend hochgeht.

Wie entlasten Sie die Schichten?

Die Maßnahmen sind unterschiedlich und reichen von technischen Maßnahmen wie dem Aufstellen von Ventilatoren bis hin zum Anpassen von Schichtzeiten. Bei dem Zwei-Schichten-Modell haben wir eine größere Flexibilität. Dort kann man die Schichtzeiten besser anpassen. Die erste Schicht geht von 06:00 bis 14:40 Uhr und die zweite Schicht von 14:40 bis 23:10 Uhr. Wir können zum Beispiel die zweite Schicht ausfallen lassen und stattdessen eine Nachtschicht machen, um die heißeste Zeit auszulassen. Oder wir verschieben die Anfangszeit, zum Beispiel mit einem Schichtbeginn um 17 Uhr. Dazu müssen wir den Schichtbeginn mit den Fahrplänen der öffentlichen Verkehrsmittel abgleichen. Mit den Schichten können wir ein Stück weit spielen. Wobei die Nachtarbeit am teuersten für den Arbeitgeber ist. Das ist dann schon eine riesige Diskussion mit Blick auf die Betriebswirtschaftlichkeit. Aber die Möglichkeit besteht und wir nutzen sie in extremen Hitzephasen.

Wie entscheiden Sie über die Anpassung der Schichten?

Wenn der Wetterbericht sagt, dass in der nächsten Woche eine Hitzephase bevorsteht, müssen wir schnell handeln. Dann diskutieren wir mit den Führungskräften die Umstellung des Schichtbetriebs und setzen das entsprechend um oder es werden andere Maßnahmen initiiert – wie der technische Service stellt zusätzliche Ventilatoren auf. Die Erfahrung hat gezeigt, dass wir ad hoc reagieren müssen.

Verändert sich dann auch die Leistung? Läuft das Band langsamer? Werden weniger LKWs in den heißen Schichten produziert?

Die Leistungsvorgabe bleibt immer gleich. Bei 35 Grad schreibt die Arbeitsschutzrichtlinie vor, dass der Arbeitsraum nicht mehr zur Arbeit geeignet ist. Dann initiieren wir technische, organisatorische und persönliche Maßnahmen. Wenn wir keine weiteren Maßnahmen mehr umsetzen können, kommen wir zu dem Thema zusätzlichen Pausen. Das müssen wir mit den Führungskräften besprechen. Ich sage dann oft: ‚Stell dir vor, du bist draußen in deinem Garten oder auf deiner Baustelle. Mit Sicherheit machst du mehr Pausen bei 35 Grad. In der Regel sehen die Führungskräfte das ein und gewähren zusätzliche Pausen. Das führt natürlich zu einer geringeren Auslastung, aber erst einmal nicht zu einer Reduzierung der Leistungsvorgabe. Dennoch laufen weniger LKWs vom Band und es fallen weniger Achsen vom Montage-Band.

Welche Möglichkeiten haben Führungskräfte und Beschäftigte, auf die Hitze zu reagieren?

Das Thema Hitzeschutz spielte in den letzten Jahren eine immer größere Rolle. Unsere allererste Maßnahme vor vielen Jahren war, kostenlose Getränke für die Belegschaft bereitzustellen. Das wurde am Anfang belächelt. Mittlerweile haben wir eine ganze Reihe an Hitzeschutz-Maßnahmen. Wir haben eine Gefährdungsbeurteilung erstellt, auf die die Führungskräfte zugreifen und entsprechende Maßnahmen heraussuchen können. Wir haben auch eine Gesamtbetriebsvereinbarung mit einem Leitfaden, auf die alle im Betrieb zugreifen können. Im Arbeitsschutz gilt das TOP-Prinzip: Zuerst ergreifen wir technische, dann organisatorische und schließlich personenbezogene Maßnahmen.

Welche Maßnahmen sind das konkret?

Unter die technischen Maßnahmen fallen bei uns z. B. Sonnenschutzfolie und Jalousien an den Fenstern, Ventilatoren, Wasservernebelungsanlagen und Raumklimatisierung. Zu den organisatorische Maßnahmen zählen die Anpassung  oder der Ausfall von Schichten und als persönliche Maßnahme gestatten wir zusätzliche Entwärmungspausen. Zudem haben wir am Standort einen Hitze-Arbeitskreis, der ausgehend vom letzten Sommer analysiert, wo die Hotspots sind. Wir haben auch eine Hitze-Hotline, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anrufen können, wenn sie nicht mehr zurechtkommen, weil es zu heiß ist. So bekommen wir ein gutes Gefühl dafür, wo die Hotspots liegen. Außerdem haben wir für jeden Fertigungsbereich einen Hitzekoordinator bzw. eine -koordinatorin. Das ist eine Führungskraft, die im jeweiligen Bereich für die Hitzeschutzmaßnahmen zuständig ist: Das kann von der großen Klimatisierungsanlage bis hin zum Wasserspender reichen.

Wie nehmen die Beschäftigten die Hitzeschutz-Maßnahmen an?

Am besten werden die zusätzlichen Pausen und die Ventilatoren angenommen. Die individuelle Belastung nimmt von Jahr zu Jahr zu und so steigt auch das Interesse der Belegschaft an dem Thema. Letztes Jahr hatten wir die Rekordzahl an Anrufen bei der Hitze-Hotline. Wenn wir nicht schnell genug reagieren, gibt es an der einen oder anderen Ecke auch schon mal Frustration. Nach dem Motto: Es ist immer noch ‚bulleheiß‘ und keiner tut was. Wir haben in den letzten Jahren eine Halle, die immer Hotspot war, mit einer sehr guten Klimatisierungsanlage ausgestattet. Das ist natürlich die Optimallösung. Da haben wir mehrere 100.000 Euro investiert. Jetzt lässt sich dort gut arbeiten und das gefällt allen. Und wir haben mittlerweile fast alle Hallen vor der Sonneneinstrahlung geschützt. Die Maßnahmen kommen also an, aber es ist so: Steter Tropfen höhlt den Stein.

Angesichts des Klimawandels spielt Klimaneutralität bei der Produktion eine große Rolle. Wir müssen die Menschen entsprechend dem Klimawandel schützen. Das ist mein Wunsch an Unternehmen und Berufsgenossenschaften.


stellv. Betriebsratsvorsitzender Mercedes-Benz Werks Gaggenau Daimler Truck AG

Gibt es ein wachsendes Bewusstsein für die Themen Klimawandel und
Hitzeschutz? Falls ja, woran erkennen Sie das?

Das Bewusstsein für Hitzeschutz wächst stetig. Ich denke, es liegt in erster Linie am persönlichen Empfinden. Wir merken alle, dass die Sommer heißer werden. Wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, sieht man: Es hat sich etwas verändert. Es passiert immer wieder, dass uns Maschinen ausfallen, weil es so heiß ist. Auch die hitzebedingten Ausfälle von Menschen nehmen zu. Ich denke, dieses Empfinden hat fast jede und jeder. Das geht auch an den Führungskräften nicht vorbei. Da haben wir mittlerweile eine sehr hohe Sensibilität.

Das heißt, Sie müssen nicht mehr viel Überzeugungsarbeit leisten, um
Hitzeschutzmaßnahmen durchführen zu können?

Der Großteil hat ein Verständnis und ein offenes Ohr für Klima- und Hitzeschutz. Ein Diskussionspunkt ist immer die Wirtschaftlichkeit, wenn es um Investitionen geht. Denn: Ein Bereichsleiter schaut immer noch zuerst auf die Zahlen. Wenn es um Klimaanlagen und Wasservernebelungsanlagen geht, sind das immer auch Budgetfragen. Das ist noch der Hemmschuh. Es hat sich allerdings viel getan. Wie gesagt, früher haben wir für kostenloses Wasser gekämpft und jetzt ist es der Standard. Ich sage: Wir müssen frühzeitig über Hitzeschutz nachdenken.

Vor welchen Herausforderungen steht Ihr Unternehmen in Bezug auf
Klimawandel und Hitzeschutz?

Die größte Herausforderung für uns ist der Klimawandel. Wir haben vor fünf oder sechs Jahren angefangen, uns verstärkt mit dem Thema Hitzeschutz auseinanderzusetzen. Ich habe im Zuge dessen Studien gelesen, die davon ausgehen, dass wir im Jahr 2050 ein ähnliches Klima haben könnten wie Australien heute hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir bei solchen Temperaturen die gleiche Leistungsfähigkeit beibehalten können. Es deutet alles darauf hin, dass das Klima sich schneller ändert als angenommen. Das Unternehmen stellt sich gut auf, was die Produkte betrifft. Die Klimaneutralität bei den Anfertigungen steht an erster Stelle. Auch in der Öffentlichkeit spielt das Produkt die absolut größte Rolle. Aber der Mensch wird dabei schnell vergessen. Auch in der medialen Öffentlichkeit kommt er kaum vor. Wenn wir tatsächlich irgendwann Mal solch ein Klima haben, könnten wir so nicht weiterarbeiten – das funktioniert nicht. Die Anpassung des Arbeitsschutzes auf den Klimawandel ist eine riesige Herausforderung und da muss – auch in der Politik – noch viel passieren.

Was wünschen Sie sich von Politik und Unternehmen?

Wir machen kontinuierlich Schritte nach vorne. In unserem Betrieb haben wir in den letzten Jahren sehr viele gute Maßnahmen auf den Weg gebracht und wir haben mittlerweile eine hohe Sensibilität für das Thema bei unseren Führungskräften.

Betrachtet man die Gesamtsituation in Deutschland, muss man aber leider sagen: Da ist noch Luft nach oben. Meines Erachtens brauchen Politik und Wirtschaft deutlich mehr Expertise in Fragen des Hitzeschutzes. Von der Politik wünsche ich mir verbindlichere Regelungen, denn die Arbeitnehmervertreterinnen und -vertreter brauchen gesetzliche Stellhebel. Angesichts des Klimawandels spielt Klimaneutralität bei der Produktion eine große Rolle. Wir müssen die Menschen entsprechend dem Klimawandel schützen. Das ist mein Wunsch an Unternehmen und Berufsgenossenschaften.

Unser Experte

Portraitbild von Udo Roth

Udo Roth

stellv. Betriebsratsvorsitzender Mercedes-Benz Werks Gaggenau, Daimler Truck AG

Udo Roth ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender des Mercedes-Benz Werks Gaggenau der Daimler Truck AG und leitet überregional die Kommission "Arbeitssicherheit, Umwelt und Gesundheitsschutz". Das Thema Hitzeschutz spielt auch für Führungskräfte eine immer größere Rolle. Zu den umgesetzten technischen und organisatorischen Maßnahmen in Gaggenau zählen u.a. Wasservernebelungsanlagen und Raumklimatisierung sowie die Anpassung oder der Ausfall von Schichten und zusätzliche Entwärmungspausen.

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